Kurzradeln

Herbstradeln

 

 

Ganz früh im Morgenlicht des gerade erst erwachenden Sonntags sitze ich auf dem Sattel, der Fahrtwind ist kalt, jeder Sonnenstrahl sehr willkommen. (Später am Tag werde ich in kurzen Hosen und Top radeln und bedauern, dass die Sonnencreme zu Hause liegt. Und das im Oktober.)

 

 

Von der Haustür weg führen meine bekannten Wege, die bald schon in neue münden. Ortschaften, in denen ich – trotz der Nähe – in all den Jahren nie war. Manche führten mir immer zu weit hinauf ins Hügelland des Kraichgau. Nun, nach der Bergfahrt meines Sommers, auf der ich lernte, dass jeder Anstieg zu gehen ist, wenn man nur nicht mit ihm hadert, nun wage ich alles zu fahren, was sich vor mir ausbreitet. Ohne Plan und Ziel rolle ich durch die Sonntagsstille, hinauf, hinab, rechts, links – immer den Weg entlang, nach dem mir gerade zumute ist.

 

 

Ort- und Landschaften, die ich nur von der Karte her kenne, oder aus dem Auto, oder gar nicht, ziehen an mir vorbei. Ich staune über das mir fast völlig unbekannte „Hinterland“, so nah an meinem Dorf. Treideln durch wunderbare Hügelwelt, zeitverloren.
(Am Abend gerate ich plötzlich in Eile, der Rückweg zieht sich länger als gedacht, und zu Hause warten die Kinder.)

 

 

Farben bringe ich mit nach Hause, Seelenwärmeherbstfarben, für einen vielleicht langen Winter.

 

 

Und den Himmel. Den sowieso.

Danke.

Angeradelt

Der Januar war Durststrecke, in die Februarferien schlingerte ich in Bodenschwere und voller Tränen. Was sich da alles zusammengeballt hatte, dies ist – für hier und im Moment – unwichtig. Ganz sicher aber war das Dunkel mitausgelöst davon, dass ich einen ganzen Monat lang nicht draußen, nicht im Freien war, nicht auf den Pfaden rund um unser Dorf, nicht auf ferneren Wegen, nicht per Rad, nicht zu Fuß, dass ich kein Sonnenlicht, keine Winterluft um mich hatte. Dies wurde mir erst im Nachhinein bewusst. WIE sehr fehlte mir das Draußensein, WIE sehr trübte sich alles um mich ein …

Nun, die Ferienwoche im Schnee hellte auf und gab den Fingerzeig, wie heilsam Unterwegssein im Draußen und freies Atmen sind. Nach dieser Woche pumpte ich mein Rad neu auf und fahre seither mit ihm zur Arbeit, Minustemperaturen hin oder her. Dies bewegt, dies belebt. Dies setzt dem Düsteren eine Kraft entgegen.

Als schließlich am Samstag eine strahlende Sonne zaghaft winzige Plusgrade anbot, tat ich, was wohl ein Novum für mich ist: eine Winterradtour. Na gut, sie wurde klein, nicht mehr als 50 Kilometerchen – die aus dem Stirnband herauslugenden Ohrläppchen und die Zehen hätten kaum mehr Eisigkeit ausgehalten – , aber dennoch: Das Tourenjahr ist angeradelt:)

Wie hell dieser Weg war. Wie wärmend. Wie zuversichtlich ich nach all den schweren Tagen plötzlich wurde.

Noch fließen meine Worte tröpfelnd, bewegt sich auch das Kameraauge nur gelähmt. Ja, der Januar hat mich innerlich ausgetrocknet und ins Elementare zurückgeworfen. Doch um nicht ganz ohne Bilder zurückzukehren, tat ich wie schon im Herbst:
Genau alle fünf Kilometer fotografierte ich. Ein Bild in Fahrtrichtung, eines rückwärts, eines nach rechts, eines nach links. Bei Blende, Perspektive und Tiefenschärfe gab ich mir keine Wahl. Ungeschminktes Leben, wie der Wegrand es darbietet. Kein Fokus auf das „Schöne“, das Ansehnliche, das Idyllische, sondern zufällige Lebensblicke, wo sie halt hinfallen.

Wieder war mir dies wie damals schon eine Übung im Annehmen. Welche idyllischen Anblicke der Kamera entgehen und welche nüchternen Bilder dafür vor die Linse geraten: so wie sich Tage und Wege eben zuweilen zeigen. Kaum Aushaltbares im Fokus, das Nährende in Verborgenheit, und ich inmitten. Hoffend, dass ich nie vergesse, wieviel Unsichtbares den Hintergrund bildet.

Hier also Wegebilder: Unten in groß jeweils der Vorwärtsblick, darüber der Blick zurück, und seitlich rechte und linke Wegesränder.

Kilometer 5:

Kilometer 10:

Kilometer 15:

Kilometer 20:

Kilometer 25:

Kilometer 30:

Kilometer 35:

Kilometer 40:

Kilometer 45:

Kilometer 50:

Danke.

Wegpunktzufälle

Irgendwann tat ich es schon einmal. Damals strengte mich meine ewige Bildsuche sehr an, ich hatte diese Idee und war neugierig auf das, was geschehen würde.
Diesmal liegt mein Motiv noch etwas tiefer: Überfordert fühl(t)e ich mich, hilflos gegenüber dem Vielen, unfähig eine Auswahl zu treffen. Beim Fotografieren so wie bei sonstigen Dingen.

Und so tue ich plötzlich, was ich auch damals tat, und was mir der Herr Irgendlink hoffentlich nicht als Plagiat auslegen wird, denn es ist keines: Ich radle los und fotografiere meinen Weg in vorgegebenen Abständen. Genau dort, wo der Kilometerzähler Stopp gebietet, und nirgends sonst.
Hätte ich am Morgen schon geahnt, wie weit mich meine „kurze“ Samstagsrunde tragen würde, hätte ich wohl einen weiteren Rhythmus als 5 km gewählt, 7 oder 13 oder so. Doch auf einen 10-km-Abstand möchte ich die Bilder jetzt nicht mehr ausdünnen – dies ist ja keine Primzahl (;-)), und dies wäre dann tatsächlich Irgendlinks Zahl.
Nun also: Viele viele Bilder werden es. Alle 5 km nehme ich vier Blicke auf, in jede Richtung einen. Ich fotografiere mit festgelegter Brennweite und gebe mir auch sonst keine großen Entscheidungsmöglichkeiten bei Motivwahl, Tiefenschärfe oder Ausleuchtung. Was an jenen Fleckchen sich befindet und wie es sich im Licht des Moments zeigt, genau dies hält meine Kamera fest. Was aber in den Zwischenzeiten und Zwischenorten meinen Weg kreuzt, bleibt unfotografiert …

Wie schwer dies anfangs ist. Gänzlich unfotogene Ansichten landen im Apparat, wohingegen ich an zauberhaften Herbstnebelfarben, an fließenden Lichtwolken, an schimmernden Landschaftswellen vorbeirauschen „muss“, ohne sie mir auf mein Speichermedium zu bannen.

Wie das eben so ist, hier an der Strecke, und auf meinen täglichen Wegen, denkt es in mir. Haben wir eine Wahl, welche Bilder wir aufnehmen? Können wir dem Unschönen ausweichen, können wir immer nur das Wohltuende vom Wegesrand pflücken, so wie ich es beim Fotografieren sonst gern mache? Während doch immer das gesamte Spektrum an der Strecke liegt?
Ja, die unansehnlichen, gar hässlichen Ansichten sind da, ob ich will oder nicht. Heute landen auch sie in der Kamera, bunt untergemischt unter Fotogeneres, alles in allem ein wahrer Auszug aus der Wirklichkeit. Nichts ist geschönt, nichts ausgeblendet, ich verzerre nicht durch Auswahl und Verwerfen. Das was ist, das ist. Ich lebe darin.
Und doch: eine Stunde ist nicht eine Stunde, ein Kilometer nicht ein Kilometer, ein Bild nicht ein Bild. Meinen Kopf kann ich immer noch wenden wie ich möchte, selbst im Nachhinein. Kann die unliebsameren Blicke kaum mehr beachten, kann meinen Fokus auf das Labende richten, kann es vermischen mit stärkenden inneren Bildern, derer ich genug in mir trage und von denen ich heute emsig weitere einsammle. Das Panorama, welches ich von meiner Kurzreise mitbringe, wird von mir geformt und gefärbt, und nicht von den Bits und Bytes auf der Speicherkarte. Von einer statistischen Verteilung des Guten und des Unguten am Wegesrand möchte ich mir nicht vorschreiben lassen, was ich im Innern letztlich sehe …

Was bedeutet das überhaupt: das Gute, das Ungute, das Schöne, das Lichte? Sind dies nicht selbsterschaffene Kategorien? Ist ein Bild per se wohltuend, oder mache ich es mir zu einem solchen? Kommt das Licht der Dinge von ihrem äußeren Anblick her? Oder kann ich es ein Stück weit selbst erschaffen?
Wenn ich doch versuchte, auch in einem jeden Unbedeutenden – und sogar im vemeintlich Hässlichen – etwas aufzuspüren, das mich stärken könnte? Schließlich fügt sich jede Wegstrecke aus letztlich unbedeutenden Orten zusammen. Weder für mich noch für Euch als von außen Betrachtende ist es vermutlich von Belang, ob ich auf meiner Kurzreise am Rhein war (war ich nicht) oder am Neckar (war ich). Beide Flüsse sind hier weder zu sehen noch sind sie nicht zu sehen. Möglicherweise spielen sie gar keine Rolle.

Was für eine Entlastung, wenn ich nicht mehr Bedeutsames auszuwählen versuche, wenn ich nicht werte, nicht sortiere zwischen Leuchtturmanblicken und Grauackertönen, zwischen erstrebenswerten Reisezielen und dem ermüdenden immer ein wenig monotonen Tritt des Alltags.
Eine Entlastung für mich, da ich nicht allezeit nach tragenden und stärkenden Momenten auf meiner Lebenswegstrecke suchen muss, während ich gleichzeitig vor anderen Etappen die Augen verschließe oder gar fliehe.
Eine Entlastung auch für die Dinge und ihr äußeres Kleid, wenn sie nicht mehr die Bürde der Verantwortung dafür tragen, mir meine Tage zu retten, wenn auf ihnen nicht mehr das Gewicht der Sinngebung für andere Zeiten liegt.

Nun also: Was hat sich mir unterwegs gezeigt? Dies alles, dies viele, was folgt …
(Unten in groß ist jeweils das Bild in Fahrtrichtung zu sehen. Oben etwas kleiner das Rückwärtsbild, daneben die Bilder in seitlicher Richtung.)

Kilometer 5:

 

Kilometer 10:

 

Kilometer 15:

 

Kilometer 20:

 

Kilometer 25:

 

Kilometer 30:

 

KIlometer 35:

 

Kilometer 40:

 

Kilometer 45:

 

Kilometer 50:

 

Kilometer 55:

 

Kilometer 60:

 

Kilometer 65:

 

Kilometer 70:

 

Kilometer 75:

 

Kilometer 80:

 

Kilometer 85:

 

Kilometer 90:

 

Kilometer 95:

 

Kilometer 100:

 

Vielleicht sollte ich öfter so wahl- und entscheidungslos durch die Linse schauen?
Nun, „schöne“ Bilder werde ich natürlich weiterhin suchen und zeigen, mit aller Freude und Leichtigkeit, welche die Hingabe an ästhetische Wunder schenkt. Aber ich suche, lebe und fotografiere schon recht idyllezentriert.
Vielleicht gibt es einen Mittelweg. Beim Fotografieren, und im Leben.

Pfalzradschnipsel

 

#1

Versuchen, ob vier Tage auf dem Rad reichen, die Erschöpfung vom Rücken zu nehmen. Kraftloses Lostreten.

 

 

Mich dabei zwingen, einmal nichts zu schreiben. – Der Ruhe im Kopf helfen ihr Werk zu tun.

 

 

Unfähig zu entscheiden, ob ich rechts oder links des Flusses fahren will.
Schon die kleinen Dinge überfordern mich.

 

 

Den Rhein überqueren. Schön ist er  hier nicht.

 

 

Viele Kilometer des ersten Tages als nichtgefahrene empfinden. Den Faden zu mir selbst immer wieder verlieren. Noch längst nicht da sein auf dem Rad.

 

 

Jedoch: 95 Kilometer, als wenn es kaum etwas wäre. Staunen über radelnde Kräfte. Eine Eruption des in mir Vergessenen.

 

 

 

#2

Unendlich guter Schlaf. Aus der Abendkälte in nächtliche Morgenwärme. Physikalisch-meteorologisch eher unwahrscheinlich. Es ist eh alles im Innern.

 

 

Schreiben am Weiher, mein Schreibschweigen unterliegt. Es geht nicht anders. Mein Kopf wird sonst nicht ruhig. Schlimm.

 

 

Umfahrungen suchen – für Städte und Menschenmassen. In Alleinseinstälern wird das Treten Elexier.

 

 

Höhenmeter hinaufschwitzen. Und versuchen mich dabei selbst zu verstehen.

 

 

Mich auf einer Höhenstraße wiederfinden, die Sehnsüchte weckt. Mehr als das.

 

 

Einkehr bei Freunden. Gut, das.

 

 

 

#3

Geerdet im frischen Morgengrün.

 

 

Geborgenheit in vielen Formen lesen.

 

 

Den Rückweg als Weiterfahrt begreifen, nicht als Kehrtgewendetes.

 

 

Atmen. Immer nur atmen.

 

 

Den Spiegel sehen. Den inneren vor allem.

 

 

Erfüllt sein vom Radeln, in wortlosem Leuchten.

 

 

 

#4

So früh aufwachen und aufstehen, dass ich selbst erschrecke.

 

 

Anklänge an eine andere wohlvertraute Landschaft – hier ist eine kleine Sächsische Schweiz:)

 

 

Den Pfälzer Wald nur ungern verlassen. Ein Ort zum Wiederkehren.

 

 

In der Bruthitze der Rheinebene fast ersticken, und doch immer weitertreten.

 

 

Die Bewegung in ein einfaches Weiterrollen verwandeln. Vor allem als die Kilometerzahl dreistellig wird.

 

 

Ich ahnte ja. Nur nicht in welchem Maße: Es erdet …

 

Alltagsglück #1

Einen Dienstort in 35 km Entfernung könnte man als Anlass nutzen, um sich zu ärgern. Oder aber, um eine kleine Radtour drumherum zu bauen.

Es ist früh, als ich aufbreche, hinauf und hinab ins Tal, das zum Fluss führt.
Wie sogleich die Bluse im Wind flattert, und der Wind in der Bluse. Ich bin schon da.

 

 

Der Fluss schenkt seinen weisen Lauf und nimmt mich an die Hand, damit meine Bewegung nicht stockt. Ich rolle und rolle, an seiner Seite durch die große Stadt hindurch, auf altbekannten Pfaden ins jenseitige flache Land.

 

 

Dort dann, am Dienstort, widme ich mich meinen Aufgaben, fokussierter und klarer als häufig, während in mir stille Vorfreude auf den Rückweg blüht. Über die Hügel werde ich fahren, schließlich muss ich nicht wie vormittags in gefasster äußerer Form an einer Arbeitsstelle ankommen:)

Windjacke, Fleeceshirt und Schal auf dem Gepäckträger schmunzeln leise, während ich in Sommerhitze hinauftrete. Die Sonnencreme ruft laut von zu Hause aus, dass ich sie vergessen habe. Man wird sehen, morgen auf meiner Nase.
Heute aber, heute hier zu fahren, war meine beste Idee seit langem. Gemäß diesem hier:
Eine halbe Stunde Meditation ist absolut notwendig, ausser, wenn man sehr beschäftigt ist, dann braucht man eine ganze Stunde. (Franz von Sales)

 

 

Welch kleine feine Dörfer, die mir bisher entgangen sind. Welch Landschaft zum Verlieben. Ich frage mich, warum ich dies bisher kaum getan habe.

 

 

Lediglich, dass keine Eiscafés am Wegesrand liegen … nun ja … kurz vor dem Heimatdorf findet sich doch noch eines. Dafür, dass morgen ein prallevoller Schultag und noch nichts vorbereitet ist, sitze ich in größter Gelassenheit dort und habe die Ruhe weg. Ich wundere mich selbst.

 

Von Zeit zu Zeit die Augen öffnen für das klein-große Glück am Wegesrand …

 

Herbstradeln

Langes Wochenende – kurze Zeltradtour. Mama- und Tochterrad warten, dass wir aus der Schule kommen …

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… um uns auf die Hügel hinauf zu führen. Anders als durch Bergaufarbeit, notfalls mit Pausen und Schieben, kommen wir von unserer Wohngegend kaum weg.

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So nah vom Zuhause sind wir noch, und doch bemerken wir, dass wir diese Ecken überhaupt nicht kennen, dass wir uns in den letzten Jahren so wenig in unserer nächsten Umgebung umgeschaut haben …

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… dass gerade das Nahe wie oft so fremd ist.

Und dass es Herbst wird, das bemerken wir auch. Drum sind die Radtaschen voller warmer, regendichter Sachen.

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Der erste Zeltplatz, wir erreichen ihn kurz vor’m Dunkelwerden, ist von sturen Reglementierungen unsinnigster Art geflutet, wir dürfen nur in einem sehr unkuscheligen Eck stehen, aber lachen das weg. Zumal wir den Abend in der Kneipe am See und den Morgen – wegen Regen – ausschließlich im Zeltinnern verbringen.

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Ja, das Zelt ist groß genug, um darin zu frühstücken, die Tochter deckt einen liebevollen „Handtuchtisch“, und wir frühstücken sozusagen gegen den Regen an.

Die Kastanien am Wegesrand hatten kein Zelt zum Trockenbleiben:)

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Und übrigens: Ganz gleich wie alt Du bist, Kastanien bleiben Kastanien, und die Vorder- und Seitentaschen sind viel zu schnell voll, so viele müssen wir liegenlassen:(

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Es ist Herbst, es ist bunt, meine Lieblingsjahreszeit beginnt …

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… ich könnte ewig in diesen Parks und Wäldern bleiben, würde ihnen gern zusehen, wie sie sich immer mehr einfärben …

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… wie die Bäume ihre Blätter abwerfen, wie ihre karge Gestalt dabei umso markanter hervortritt …

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Wir haben ein paar halbsonnige Fahrstunden, bis der Regen gewinnt und uns – nun ja – ausbremst …

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… in dem Sinne jedenfalls, dass wir heute nun doch nicht mehr bis an den Rhein fahren, sondern bei nächster Gelegenheit unser Zelt aufbauen.

In der Nacht wird plötzlich der Sternenhimmel sichtbar – hach: so kann ich nicht lesen:) – und am Morgen weckt uns blauer Kleinweißwölkchenhimmel.

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Die Rheindeiche lassen sich vom Wind durchpusten …

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… und wir mit ihnen, wobei wieder einmal das faszinierende Phänomen auftritt, dass der Wind einem immer entgegenkommt, wie man auch längs des Flusses mäandert.

Wenigstens werden wir beim Picknick am breiten, behäbigen Wasser nicht wie unsere Brottüte weggeweht …

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… und ja, die Anblicke lenken vom steten Gegenwindfahren ab, lassen vergessen, dass die Beine allmählich wehtun.

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Ab und zu verlassen wir den Damm am Fluss, in der Hoffnung, auf der unteren oder auf der weiter im Innern gelegenen Straße könnten wir ein paar leichtere Kilometer fahren – nein. Es windet überall …

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… und oben am Fluss ist es doch am schönsten.

Die Tochter zieht es nach Strasbourg, sie hält tapfere 70 Gegenwindkilometer durch …

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… und vermag dabei noch zu singen sowie ihre Augen für das Ringsum offenzuhalten. Vielleicht hätte ich diesen Flussstein ohne sie gar nicht entdeckt? Es ist ein Myriameterstein (eine Einheit, die ich noch nie gehört hatte), das erklärt die seltsamen Entfernungswerte.

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Wir schaffen es bis nach Kehl, bauen kurz vor dem Abendregen unser Zelt auf, und bedauern, dass wir morgen schon wieder nach Hause müssen.

Zunächst aber noch ein warmes Sonnenfrühstück am Fluss, gegenüber liegt Frankreich, dessen Ufer, wie die Tochter erstaunt befindet, auch nicht anders aussehen als die hiesigen.

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Also schauen wir uns das mal aus der Nähe an, über die Fußgängerbrücke …

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… da in der Flussmitte muss die Grenze sein …

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… sind wir gleich in Strasbourg, ein im Grunde gut durchdachtes Radwegenetz ist nur leider von Großbaustellen durchlöchert, so dass ich bereits, als wir das Zentrum noch gar nicht erreicht haben, diejenigen Radler beneide, welche die Stadt schon wieder verlassen:)

Nuja, irgendwann sind wir in der Stadtmitte, zusammen mit Scharen anderer vorwiegend deutscher Touristen. Feiertagsauslands-Hopping und -Shopping.

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Es ist mir zu voll; der 3. Oktober war sicher nicht der günstigste Termin für einen Besuch in dieser grenznahen Stadt …

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… aber wir können ja wiederkommen, weit ist es nicht von uns. Mit dem Auto legen wir unsere Dreitagesfahrt in 2 Stunden zurück, ernüchternd irgendwie, dieses allzu schnelle Zurückkatapultiertwerden in den Alltag. Morgen ist Schule, lange Wochenenden sind irgendwie immer zu kurz.

Ein Fahrrad-Foto-Experiment

Wow! Eine Radtour von der Haustür aus in unser „Hinterland“, das ich in fast 20 Jahren Hierleben nie besucht habe – welch eine Eröffnung!
Welche Landschaften, welche Wunder am Wegesrand, welch staunenmachendes Licht. Der Tag war gefüllt mit den sattmachendsten Farben – mit zartem Neugrün in verzauberndem Licht, mit dem blühenden Blau des Himmels, mit dem Gelb des Rapses. Meine inneren Bilder bringen mich gleich zum Bersten.

Doch kaum eines dieser Bilder ist auf einem Foto gespeichert. Morgens nämlich, beim Losfahren, erschien mir noch als leicht spleenige Idee, was dann im Laufe des Tages Wirklichkeit wurde. Weil mein dauerndes Fotografieren und Fotografierenwollen immer ein wenig auf dem Sohn und mir gelastet hatte, wenn wir gemeinsam per Rad unterwegs waren, und weil ich nicht erahnte, wie unglaublich schön dieser Tag werden würde, und weil ich gerade beim exzessiven Aufräumen meiner Festplatte gefühlte Milliarden an Idylle-Fotos vor sich hindümpeln sah – deswegen verkündete ich dem Sohn, als wir uns bibbernd im Morgenlicht auf die Räder setzten, dass ich heute mal anders fotografieren würde. Genau alle fünf Kilometer nämlich nur, und zwar immer ein Foto in Wegrichtung, eines in Zurückrichtung, eines nach rechts und eines nach links.
So wenig wie ich die Wendung „gesagt, getan“ mag, so sehr passt sie hier :) Die Regeln hatte ich mir eng gesetzt. Immer auf dem glatten Kilometer anhalten, bis auf 10 Meter genau, laut Tachoanzeige. Dann absteigen, höchstens 5 Meter vom Fahrrad entfernen, fotografieren. Die Vorwärts-Bilder mit einer Brennweite zwischen 35 bis 50, die anderen zwischen 24 und 35. (Warum dieser Unterschied? Weiß nicht. Es kam so von allein. Weil man vorwärts genauer hinschauen muss?) Blende meist 9, also keine Tiefenschärfevariation. Bei den seitlichen Bildern wich ich manchmal etwas von der 90°-Richtung ab (nämlich dann, wenn sonst das, was mein dilettantischer Bauch Bildkomposition nennt, irgendwie unbefriedigend schien).
Soweit mein Vorsatz. Und genau so tat ich es.
Ich hatte also – selbstgewählt – keine Wahl, was auf den Bildern erscheinen würde, was sie zeigen würden, in welchem Licht sich meine Reise darstellen würde.

Dem Sohn machte es Spaß, er hielt immer schon von allein an, wenn eine 5-km-Marke in Sicht kam.
Und mir brachte es vor allem Erstaunen. Denn seht selbst:
(Vorsicht, sehr viele Bilder. Denn wir fuhren ja nicht nur ins Nachbardorf. Beim nächsten Mal also wäre eine größere Kilometertaktung sinnvoll. Und außerdem: Schonungslos zeigt sich hier die tonnenförmige Verzeichnung meines Objektivs. Und wie schmutzig es ist :))

Start

km 5

km 10

km 15

km 20

km 25

km 30

km 35

km 40

km 45

km 50

km 55

km 60

km 65

km 70

km 75

(Und bei km 80 saßen wir schon im Zug.)

Und? Sind da viele Gemeinsamkeiten mit dem Anfang meines Blogsposts? (Die ich vielleicht nur nicht wahrnehme?)
Wann immer ich nämlich vor Staunen ob der Landschaft innehalten wollte, war weit und breit keine 5-Kilometermarke in Sicht. Ich atmete tief ein, und aus, und wieder ein und aus, und nahm mir innere Bilder mit, ohne auf den Auslöser zu drücken.
Während dann pünktlich zum Fotopunkt – der Sohn lachte immer schon – ein Gewerbegebiet, eine Ortschaft, ein Traktor, ein Hochspannungsmast oder wenigstens ein Verkehrsschild des Wegs kam. Die meisten Sichten hätte ich nie so fotografiert, wie sie sich jetzt auf den Bildern finden. (Warum denn eigentlich nicht?)

Was sagt mir das?
Vielleicht gab es gar nicht so viele wunderbare Bilder. Vielleicht gewichte ich diese innerlich nur stärker. Vielleicht bleiben nur diese in mir haften, und zwar lange und alles andere überlagernd. Vielleicht fahren wir also tatsächlich meist durch ganz realistisch-nüchterne Welten, fangen aber mit unseren Sinnen das Tragende, das Nährende, das Beglückende ein.

Oder erfahre ich etwas über meine Art zu sehen?
Vielleicht nehme ich ja immer nur punktuell wahr. Vielleicht nur zu zufälligen Zeitpunkten, und nur selten in den Momenten, die mein Leben eigentlich ausmachen. Vielleicht habe ich gar keine Wahl, welche Bilder sich mir vor Augen führen. Und vielleicht nehme ich zu oft das, was zufällig in mein Auge fällt, als meine Realität. Vielleicht liegt das Eigentliche dazwischen, lässt sich nicht festhalten, nicht in materialisierter Form aufbewahren, wie ich es gern hätte, und noch nicht einmal erahnen, möglicherweise.

Oder zeigt sich hier eher eine Aufgabe?
Vielleicht kann ich lernen, in den „richtigen“ Momenten zu schauen, meinen Blick auf die „richtigen“ Dinge zu lenken. Oder aber: Mir bleibt zwar keine Wahl, dass ich um mich herum zunächst immer nur eine ernüchternde Realität wahrnehme, welche nicht auf den ersten Blick beseelt und beseelend ist. Aber dass sich dazwischen, daneben, dahinter die wirklichen Geschenke befinden, dies kann ich lernen zu erahnen, zu begreifen und zu leben, ohne es stets bildlich vor Augen zu haben.

Vielleicht vielleicht vielleicht …
Vielleicht sollte ich den Weg in den nächsten Wochen nochmals fahren, mit anders fokussierter Kamera. Um zu schauen, ob sich mir zeigt, welche Bilder wirklich dazwischen liegen …