Außen und innen

Seit Tagen hüllt ein Grau die neue Jahreszeit ein, ein Grau mit verwehenden Farbtupfen. Der noch gar nicht so ferne Leuchtherbst schimmert in einem jeden am Boden liegenden Blatt, in einem jeden sich kahl schüttelnden Zweiglein. Vergangen ist diese Lebensrunde, vergangen, so ruft das verwehte Grün von überallher. Und lässt gleichzeitig durchscheinen, dass darunter schon der nächste Kreis keimt. Im Vergehen ihres Nährbodens verströmen sich Ahnungen neuen Wachsens. Ich weiß ja, wo es knospen wird. Irgendwann. Bald.

Und plötzlich reißt sie auf, die alles einhüllende Nebeldecke, für einen Moment nur, dem ein kurzes staunendes Aaahhh! entfährt, denn tatsächlich ist da, vergessen schon hinter den grauen Schichten, ein offener Blick ins freudige Blau des schwarzen Universums. Jene leuchtende Farbe, welche der gleichen Quelle entspringt wie jede Wolkendecke, jeder Nebel, jedes Wetter.

Vielleicht ist das alles ja jahreszeitenlos, vielleicht schaffen wir uns diese Konzepte nur für eine innere Ordnung, ohne die wir uns nicht in der Lage sehen, uns durch unser Auf und Ab zu hangeln?

 

Vielleicht ist ein jedes Blau ja von Wolken gesäumt, und ein jedes Lebendige von Erstorbenem?

 

Wie frische Lebensadern Verblühtes durchdringen, und wie sich verdorrende Fasern auf pulsierendes Gewebe stützen, um ein gemeinsames verwobenes Netz zu bilden …

 

… wie sich Gereiftes, Tragendes, Eigentliches hinter schützenden Hüllen verbirgt, welche die Geste des Gebärens doch immer schon bereithalten …

 

… wie die überreifen Früchte immer schon neue Saat in sich tragen, wenn nur ein nährender Lichtstrahl sein Ja dazugibt …

 

… wie, wenn ich mich nur in weit geöffneter Gebärde empfangend bereithalte, einem jeden Verblühen eine neue Lebenswelt entspringt …

 

… wie ich all dies sehe, erkenne, erahne, immer wieder. Weil ein Licht hindurchleuchtet, durch alles.

 

Vielleicht, und hier schließt sich der Kreis, vielleicht sind ja jegliche Wolken wirklich immer von Blau gesäumt, und jegliches Erstorbene von Lebendigem.

 

Ganz ursprünglich, als fast noch Sommer war, da nahm ich diese Bilder auf, inspiriert von Ullis Maisfreuden. Zu ihren Maisschöpfen und -fasern wollte ich Maisgesichter suchen. Doch ich merkte schon am Feldrand, dass ich für Porträtfotos wohl zu ungeduldig bin, dass ich einzelne Gesichter kaum zu erkennen vermag. Stattdessen nahm ich einen Zyklus wahr, zunächst einen Ausschnitt davon, einen Teil des großen All-Kreises, später immer mehr und mehr. Ich sah, wie jeder Teil das Ganze in sich trägt. Und dass es bei all dem immer auch um mein inneres Kreisen geht, mein stetes Gebären, Sein und Ersterben.
Welche Erschütterungen brachten die letzten Wochen mit sich, und welche zögernden Schritte setzten diese in Gang. Nun gehe ich wieder. Und finde – auch mit diesem Text – in einen Frieden hinein, zunächst. Bis zur nächsten Wehe.

 

11 Kommentare

  1. Wie wunderschön! Deine Empfindungen und deine Gedanken und deine Bilder. Mir ist, als ob auch du heute einen Faden aufgenommen und auf deine ganz eigene Weise weitergesponnen hast…
    Ich sitze hier, reif fürs Bett und nun voller Freude über deins.
    Dies ist mein Lieblingssatz:“Vielleicht, und hier schließt sich der Kreis, vielleicht sind ja jegliche Wolken wirklich immer von Blau gesäumt, und jegliches Erstorbene von Lebendigem.“
    Danke dafür und hab eine gute Nacht, liebe Frau Rebis,
    herzliche Grüße
    Ulli

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    1. Liebe Ulli,
      und nun freue ich mich über Deine Freude:)
      Und wie ich einen Faden aufgenommen habe, mehrere, ein ganzes Netz ist da verwoben …
      Das Blau des Himmels, das Schwarz des Universums – weißt Du noch? – nach unserem Gespräch ist viel in mir umgegangen. Und weißt Du, dass der Himmel für uns blau ist, und dass es Wolken gibt – beides entspringt der gleichen Ursache (der Atmosphäre nämlich). Manchmal tut es gut, all diese Zusammenhänge deutlich vor sich zu sehen.
      Nun wünsche ich Dir einen ofengewärmten, heimelnden Sonntag und sende Dir einen Herzensgruß
      Frau Rebis

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      1. Guten Morgen, liebe Frau Rebis, ja, dass es nicht nur der Mais war, das habe ich bemerkt … und mit den blauen Augen ist das ja auch so!
        Du Liebe, hier stürmt es und der Regen prasselt auf die Dachfenster, ich mache jetzt den Ofen an, habe meine geplante Aktivität abgesagt und mache es mir rundrum gemütlich, du dir hoffentlich auch,
        herzlichst
        Ulli
        pssst, ich hör das Cello rufen ;)

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        1. Noch sitze ich eingekuschelt auf dem Sofa, die Bachkantate singt, und ja: das Cello ruft. Es hat aber gestern nachmittag ganze 3 Stunden singen dürfen (und ich war glücklich!), da brauchen meine Hände und Finger lieber noch nen halben Tag Ausruhpause. Wir fahren jetzt erstmal in ein Museum …
          Haben wir also einen gemütlichen Tag, Du Liebe.

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  2. Pingback: Sonntagsbild #45 |
    1. Herzlich willkommen hier auf diesen Seiten – spät, aber nicht weniger freudig über Deine Worte. Weiterspinnen und -weben, das ist, was wir alle hier tun, und was mich immer wieder aufrichtig freut, wenn es gelingt.
      Herzlichen Gruß
      Frau Rebis

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