mitgegeben

Einen Stein aus unserem Garten: Damit du ein Stück von deinem Zuhause ganz nah bei dir tragen kannst.

Einen Stein von einer unserer italienischen Berg-See-Reisen: Damit du dich von Fernweh, Abenteuerlust und Entdeckerfreude durch dieses Jahr leiten lässt.

Den Glücksstein, den mir deine Schwester in der ersten Klasse bemalt hat. Seit damals liegt er auf meinem Nachttisch und bedeutet mir sehr viel. Möge er in diesem Jahr bei dir sein, vielleicht auch auf deinem Nachttisch, damit du uns, deine Familie immer ein wenig bei dir hast.

Einen Hühnergott von der Ostsee, den wir damals gefunden haben, als wir in K. waren – weißt du noch? Man sagt diesen gelöcherten Steinen nach, sie brächten Glück. Und das kannst du in diesem Jahr sicher gut gebrauchen.

Einen Würfel, einen ganz besonderen Würfel, einen runden nämlich: Für all die immer auch ein wenig vom Zufall geformten Dinge, die in diesem Jahr passieren werden. Möge, was auch immer Dir geschieht, stets auf irgendeine Weise stimmig sein und rund laufen.

Einen Magnetstein: Für alles, was dir wichtig ist und an dem du hängst, damit nichts davon verloren geht.

Und schließlich eine Klangkugel: Für all die Musik, die du brauchst, spielst, hörst, empfindest und suchst.

(Mein Herz, das gebe ich dir auch mit auf die Reise. Aber in welcher äußeren Gestalt verpackt, darüber plaudere ich hier in der Öffentlichkeit nicht:))

   

Ich staune, mit welcher Klarheit du genau diesen Weg schon sehr lange gewählt hast. Immer schon wolltest du für ein Jahr weggehen. Und es sollte nie ein englischsprachiges Land sein, die USA schon gar nicht. „Weil das ja alle machen. Und weil ich Englisch schon kann“, sagtest du vor etwa drei Jahren mit Entschlossenheit. Und bliebst dabei.

Ich bewundere, dass du den Mut zu dieser Lebensreise in dir trägst. Ein ganzes Jahr wegsein. Naja, „es sind ja nur zehn Monate“, hast du in den letzten Tagen tröstend zu mir gesagt. Und ein wenig auch zu dir selbst? Ich weiß es nicht, ich durchschaue es nicht. Du selbst wohl auch nicht. Jedenfalls: Ich selbst war noch nie zehn Monate lang in der Fremde, ohne Unterbrechung, ohne Begegnung mit der Heimat. Du wagst es, wie unglaublich.

Ich finde es großartig, dass du diesen gewaltigen Schritt in die Selbstständigkeit nun wirklich gehst und dir eine völlig neue, eigene Welt eröffnest. Ich fiebere mit, erahne dein Lebensgefühl dieser Tage, spüre deinen Drang dich endlich auf den Weg zu machen, bin mitneugierig – auch wenn ich das meiste, was dir dieser Tage begegnen wird, wohl nie erfahren werde – und bin mitfreudig ohne Ende.

Ich weiß, dass mit deiner Reise wirklich eine Lebensphase zu Ende geht, für uns beide.
Für dich die Kindheit. Wie entschlossen du in den letzten Tagen dein Zimmer ausgeräumt hast. 27 kg Dinge nimmst du mit, zwei Kisten stehen unterm Dach, auf deine Rückkehr wartend, vom Rest sagtest du, du bräuchtest es nicht mehr. Bei manchem habe ich heftig geschluckt. Diese Fähigkeit loszulassen, die hast du definitiv nicht von mir.
Und für mich geht ebenfalls ein Abschnitt zu Ende. 16 Jahre lang warst du immer da. Ich wusste zu jeder Stunde, später an jedem Tag wenigstens, wo du bist, womit du dich beschäftigst, was dir geschieht, was dich bewegt, was dich lachen und was bedrückt sein lässt. Von jetzt ab werde ich nur noch einen Extrakt von all dem erfahren. Wenn überhaupt.
Ich bin so schlecht im Loslassen. Wieviele Tränen ich dieser Tage weine. Aber ich spüre auch, wie ich daran wachsen kann …

   

Gestern nun war euer großer Tag. Nach Einchecken, Gepäckabgabe, erklärend-beruhigenden Worten eurer Betreuer und einer letzten Verabschiedungs-Umarmungs-Runde zogt ihr allein los und reihtet euch in die mäandernde Warteschlange vor der Sicherheitskontrolle ein. Ihr ganz allein, ihr sieben jungen Menschen, die ihr euch Italien als Wahlheimat für ein Jahr gesucht habt. Etliche verweinte Elternaugen schauten euch nach.

Ja, wir standen dort, hinter der Grenze, über die wir nicht mehr mitdurften, und konnten nur noch unsere Blicke mitgeben. Und unsere Herzen.
Welch ein Symbol für euer Großwerden …

17 Kommentare

    1. Wir haben ja keine Wahl, und so werden wir’s können.
      Ich merke jetzt schon, obwohl da vermischte Emotionen in alle möglichen Richtungen sind und alles noch ganz „frisch“ ist, wie aus der ersten (räumlichen) Trennung Neues erwächst. Es wird anders, aber alles bleibt, irgendwie.
      Für mich selbst sind diese Tage ein riesiger Lernprozess …
      Liebe Grüße zu Dir
      Frau Rebis

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  1. Liebe Frau Rebis, das sind zauberhafte Symbole, die du deinem/eurem Sohn mit auf die Italienreise gegeben hast, sie beinhalten die Liebe, die Akzeptanz, den Respekt und den Weg, aber auch die Verbundenheit, die ja nicht weg ist, die nie weg sein wird, trotz Loslassen und Ziehenlassen, selbst alle deine Tränen sind Symbole, ich glaube, dass dein Sohn sie zu lesen weiß.
    Mir gehen gerade viele Märchen dazu durch den Kopf und nicht zuletzt denke ich an die Italienreisen von so vielen Menschen, die dort tiefe Inspiration erfahren haben, nicht nur Goethe!
    Herzliche Grüße an dich
    Ulli

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    1. Liebe Ulli,
      ja, die Verbundenheit, das Band ist da. Es hat eine andere Gestalt und ist in gewisser Hinsicht tiefer als hier zu Hause, wo es von Selbstverständlichkeit (und vom Getöse der Pubertät) gefärbt war. Unsere Woche vor dem Abflug war nah und innig wie wohl nie zuvor. Und seine wenigen kurzen WhatsApp-Meldungen seither berühren mich sehr, weil er sie immer genau dann schickte, wenn gerade ein neuer emotionaler ihn bange machender Schritt bevorstand. Das ist dieses Band …
      Hach, und die Fotos und Videos der Organisation über Ankunft und Begrüßung (er ist sogar mal drauf!) lassen uns wissen, in welche Atmosphäre er hineinversetzt ist, welch großartige Welt sich ihm dort eröffnet und mit welch bunter Menge an jungen Menschen aus aller Welt er dort zusammentrifft … ich bin so dankbar für ihn, dass er das erleben darf. Ich sehe ihn aus der Ferne wachsen … und ja, da ist ein tiefes Ja in mir zu all dem.
      (Meine Tränen weiß er zu lesen. Die Tränen der Eltern – und die eigenen – waren auch Thema in einem der zahlreichen Vorbereitungswochenenden der Organisation:))
      Und übrigens: gerade kurz vor der Abfahrt haben wir zusammen einen Film gesehen, wo es wenigstens als „Aufhänger“ um Goethes Italienreise ging. — Wer weiß, als wer er zurückkommen wird …
      Herzensgrüße zu Dir, nun wieder aus dem Trubel (u.a.) des Schulanfangs
      Frau Rebis

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      1. Wenn ich hier mit meinem Kochmarathon durch bin, schreibe ich dir einmal länger, aber gerade gilt nur eins: 30 Leute zufrieden machen (gelingt ;) ), aber jeden Tag 10 Stunden und ich bin mittlerweile etwas platt, nur noch bis Samstagmittag: ich schaffe das :)
        Herzensgrüße an dich
        Ulli

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        1. Ja, du schaffst das, liebe Ulli – wir schaffen das. Ich wirbele hier nämlich auch gerade in einer 70h-Woche, in der ich nicht mehr weiß, wo oben und unten ist – wir „working class heroes“:)
          Und auch hier sind jeweils 30er-Gruppen von jungen Menschen zufrieden zu machen;-) (Aber ob es gelingt?)
          Liebste Grüße aus dem erstaunlich ruhigen Auge des Wirbelsturms heraus an dich
          Frau Rebis

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  2. Vor fünfzehn Jahren verabschiedeten wir unsere Tochter für ein Jahr – nun ist sie für immer da – oder doch nicht, wer weiß.
    Dein Sohn wird es gut machen, glaube ich zu wissen.
    Unsere Tochter musste einmal ihre Gastfamilie wechseln. Die erste war kinderlos und zählte alles ab, was die Tochter konsumierte, jedes Glas Milch, alles, und sie sollte Hausarbeiten verrichten, in dunklen Verliesen Zeug holen usw., sie bekam Angst vor denen- und konnte zum Glück woanders hin.
    Wie gesagt, Dein K1 wird es anders erleben!

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    1. Dies geschieht ja nicht so selten, mit dem Dableiben:) Zum Glück ist Mailand quasi um die Ecke, näher noch als Norddeutschland:)
      Wir haben – genau weil man so etwas immer wieder hört: Familien wollen sich mit Gastschülern ein Zubrot verdienen – eine Organisation gewählt, wo die Gastfamilien ehrenamtlich arbeiten. Ich hoffe, dass dann wirklich ein Herzensbeweggrund dahinter steckt, wenn man jemanden aufnimmt. Alles was wir bisher mit seinen Gasteltern kommunizierten, deutet auf eine wärmste Atmosphäre hin. So war seine letzte WhatsApp auch „… ich fühle mich total wohl hier …“ Hach:)
      Irgendwann in den nächsten Wochen werden wir mal telefonieren und dann hören …
      Lieben Gruß zu Dir!

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  3. Ich seufze mit. Erste Male. Schritte, die zeigen, wie stark die Wurzeln und wie mutig die Flügel sind. Das grösste Geschenk ist, dass ihr ihn ziehen lässt. Hat er sich schon gemeldet von seinem neuen Boden? ((Meine älteste Tochter zieht nächste Woche aus. Ganz. Und wohl für immer.)) Liebe Grüsse, du mutige Mutter!

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    1. Ja, liebe FrauWind, da waren und sind Seufzer. Aber Staunen und Mitfreuen überwiegen eindeutig.
      Seine Nachrichten sind ja immer nur kurz, aber dennoch sehr berührend – wann er sie schrieb, und wie. Dazu haben wir seine Instagram-Bilder und vor allem Bilder und Videos der Organisation. Die Atmosphäre im Begrüßungscamp und dann vor allem beim Empfang durch die Gasteltern (in dem Video war sogar er zu sehen!) treibt mir die Freudentränen in die Augen.
      Liebe Grüße zu Dir und zu Deinem ausziehenden „Kind“ – wie mich DAS freut! – alles Liebe für diesen Schritt
      Frau Rebis

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  4. Nicht das was wir ihnen mitgeben zählt, sondern das, was sie mitnehmen wollen. Sie müssen frei von Emotionen sein, um sich in der Fremde finden zu können. Sie müssen bestehen und stehen. Wenn sie ein Jahr in der Fremde verbringen wollen und das freiwillig tun, ohne das wir Eltern es ihnen schmackhaft gemacht haben, dann befinden sie sich in einem Prozess, der unaufhaltsam ist. Sie werden erwachsen. Wenn sie zurückkommen, sind sie keine Kinder mehr. Sie sind dann nur noch Gäste im Elternhaus.
    LG: Hilde

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    1. Liebe Hilde,
      genaugenommen sind sie ja vom ersten Tag an nur Gäste im Elternhaus. Es wird einem nur selten so bewusst wie bei solchen Einschnitten. Und dass er seine Kindheitsdinge zu diesem Anlass so rigoros aussortiert hat, hat mich zwar erstmal schlucken lassen – es war so symbolisch – aber bedeutet letztlich nur Gutes. (Wie viele erwachsen Werdende hier ringsum sehe ich, die sich ewig nicht vom Zuhause lösen …)
      Ja, und das Mitnehmen ist letztlich seine Entscheidung. Mich hatte in den Tagen des gemeinsamen Packens sehr berührt, wie wichtig ihm all die Dinge waren, die man ihm von allen Seiten geschenkt hatte. Auch die Gewichtsbegrenzung von insgesamt 27 kg konnte ihn daran nicht hindern, da blieben eben ein paar warme Sachen zu Hause:)
      Dass sie ohne Emotionen gehen – nein, das glaube ich nicht. Sie sind ja erst 15/16. Das Band nach Hause ist noch sehr stark, so wie ich es bei ihm – und den anderen jungen Menschen am Flughafen – wahrgenommen habe. Seine ersten Nachrichten (und eben dieses Mitnehmen all der Dinge) klingen alle wie eine Rückversicherung, dass es dieses Zuhause hier eben doch noch gibt. Und gleichzeitig eröffnet sich die Fremde. Beides, in einem – hoffentlich – guten Miteinander. Das Band wird in diesem Jahr deutlicher denn je seine Dehnbarkeit zeigen, und das ist das Wertvollste, was wir alle aus diesem Jahr ziehen können.
      Lieben Gruß
      Frau Rebis

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      1. Liebe Frau Rebis,

        Du sagst es. Sie sind Gäste, waren es schon immer. So sehe ich es auch. Ich gehe so weit zu sagen, sie sind Gäste der besonderen Art. Die Fürsorge, mit der wir sie umgeben, wird mit den Jahren in denen sie heranwachsen, durchlässiger, dünner, luftiger. Je nach Entwicklung.

        Emotionen bei Verabschiedungen, auf dem Schulhof, Bahnhof, Flugplatz, oder dem Busbahnhof, habe ich grundsätzlich vermieden. Aus, oder vor Rücksicht meiner Kinder und den vielen Blicken der Mitreisenden und deren Vergleichsmomenten.

        Ich danke Dir liebe Frau Rebis, für die Rück – Reise, die ich antreten konnte. Liebevolle Erinnerungen taten sich auf.
        Vielen lieben Dank
        Hilde

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