Cello #1 – Aufeinanderzu

Es wurde Zeit.

Ich weiß gar nicht mehr, wann es mich zum ersten Mal ergriff. Als G., wir waren noch Kinder, Schumanns „Fröhlichen Landmann“ spielte und ich die warmdunkle Melodie bis in meine Träume hörte? Als A. ihr Instrument mit auf die Konfirmandenfreizeit genommen hatte und ich heimlich vor ihrem Zimmer stand, um zu lauschen, wie sie übt? Als die W.s in ihrer Wohnung Hausmusik machten und ich immer nur das große braune Instrument anschauen konnte?

Ich glaube, es war Liebe auf den ersten Blick. Oder auf den ersten Klang, wie es richtig heißen müsste.
Lange war ich mir ihrer nicht bewusst. Ich hatte ja keine Möglichkeiten, sie zu einer realen werden zu lassen. Im Unterschied zum Klavier, mit dem mich von früh an eine ähnliche Affinität verband, konnte ich meine Celloliebe nicht ausprobieren. Während ich jedes Klavier, welches mir je am Wegesrand stand, bespielte, soweit ich dies vermochte, kam ein Cello einfach nicht des Wegs. Ein einziges Mal, es muss in den Neunzigern gewesen sein, fragte ich U., ob ich einmal auf seinem ausprobieren dürfte, wie es sich anfühlt. Sein entsetzter Blick lehrte mich, dass man Celli offenbar nicht aus der Hand gibt. Ich stellte eine solche Frage nie wieder.

Später dann hatte ich zwei Kinder, eines davon wählte sich das Klavier, das zweite das Cello. Dies machte mir ein schlechtes Gewissen, weil ich vermutete, ich hätte meine eigenen Träume in die Kinder projiziert. Auch wenn diese ausdauernd versichern, dass sie sich ihre Instrumente wirklich nach den Lehrern ausgesucht hätten, und wenn ihr Aufblühen in der Musik mich beruhigen könnte – ganz frei werde ich von dem Gedanken nicht. Aber nun: es kam, wie es kam.

Vor sechs Jahren hielt also das erste Cello Einzug in unserem Hause. Ich juchzte. Es war aber ein Achtelinstrument und hatte somit etwa die Dimension einer Bratsche. Als ich es zwischen (oder besser: auf) die Knie nahm, konnte ich es als Cello nicht wahrnehmen. Später das Viertelinstrument und das halbe Cello ließ ich aus, sie waren ja immer noch sehr klein.
Und dann zog im Dezember ein Dreiviertelcello ein. Endlich groß genug für mich, um es wie ein „echtes“ im Arm zu halten, zwischen den Knien, und vor allem um zu vermitteln wie sein Klang ertönt.

Es war … das war … als hätte ich es immer gewusst. Wie ich es erahnt hatte, so fühlt es sich wirklich an. Ich halte es im Arm … wie eine Geliebte, möchte ich sagen. Und sage es nun einfach. Es passt genau zu mir und in mich, es liegt dort, als hätte es schon immer dort gelegen. 
Und es vibriert genau so, wie ich es mir immer vorgestellt hatte. Vom Instrument in die Brust und zurück. Der Klang dringt bis in die Fingerspitzen. Da sind Töne im ganzen Körper. Es ist ein wenig wie Singen, nur noch inniger, weil die Innen-Außen-Grenze aufgehoben ist.
Eine Passung. Ich brauchte keine Sekunde, dies zu begreifen.
Und dann benötigte ich noch ein paar weitere Tage sowie einen Ruck, den Freunde mir gaben, bis ich mein stimmiges Gefühl wagte in die Tat umzusetzen.
Es sollte so sein.

Bei einem Geigenbauer vor Ort ertelefonierte ich mir ein Leihcello, noch vor Weihnachten. Eigentlich hatte er gerade keines, aber meine Stimme sagte ihm wohl, wie drängend es ist. Wenige Tage später hatte er mir eines aufbereitet.
Ebenso „erquengelte“ ich mir meine ersten beiden Unterrichtsstunden. So schnell hatte ich ja keine eigene Lehrerin finden können, darum erbat ich bei der künftigen Tochterlehrerin zwei Stunden, die sie noch vor den Weihnachtsferien in ihren vollen Terminplan einschob.
So war die Ferienzeit gefüllt mit dem Instrument und meinen ersten Übungen darauf.
Irgendwann in diesen Tagen tat sich auch ein Wink und die Tür auf zu der Lehrerin, bei der ich nun eine Weile bleiben werde, ich wunderte mich schon gar nicht mehr, dass ich so schnell zu ihr und damit dem richtigen Menschen fand.

Und seitdem spiele ich, und spiele, und spiele. Kaum ein Tag vergeht ohne. Ein steter Dialog zwischen Aus-mir-lassen und In-mich-aufsaugen. So beginnt sich Musik unter meinen Händen, in meinen Armen, tief aus mir heraus zu formen.
Gerade spielt sich eine „Erinnerung“ von Chopin. Ich habe sie wohl hunderte Male schon erklingen lassen. Da liegen Töne vor mir, die sich noch erst entwickeln und gestalten lassen wollen, die mich und mein Spüren und Vibrieren aufnehmen und mit mir zusammen etwas Neues schaffen können. Das Geschenk täglichen Erbebens.
(Wie sich das – von außen, noch – anhört, all das Kratzen und Quietschen und Zuhoch und Zutief, und wie ich mit meinen Ansprüchen und meiner Unzufriedenheit umgehe, davon erzähle ich ein anderes Mal.)
Mit der Tochter habe ich die ersten Duette musiziert, beim allerersten habe ich geweint.
Und wenn es abends zu spät für die lauten Töne ist, gehe ich ans Klavier, das ist digital und darum lautlos. Selbst hierher strahlt das Cello aus: mir scheint, ich spiele seither auf dem Klavier viel intensiveres Legato.
Das alles war und ist unglaublich. Und es fängt ja gerade erst an.

Und nun bin ich hier, eine ganze Woche ohne mein Instrument. Das erste Mal trennen wir uns voneinander. Wenigstens habe ich die Schule, die Noten mitgenommen, lese darin, höre und spiele innerlich. Und auch auf dem Player läuft seit Wochen beinahe nur Cellomusik. Ich spüre sie schon ganz in mir. Als würde sie aus mir selbst kommen. Auch wenn es bis dahin noch ein weiter Weg ist, und selbst wenn ich zu einigen oder vielen Stücken noch lange oder gar nie mehr kommen werde …

Ich spiele Cello.
Es wurde Zeit.

21 Kommentare

  1. Oh wie schön, das zu lesen, wieviel Dir das Cello gibt und wie wie schnell deine Fortschritte. Da haben sich zwei gefunden.
    Ich hatte ja gleichzeitig mit Cello im Dezember angefangen und fühle mich da Welten entfernt. Aber es war den Versuch wert.

    Vielleicht hast du ja doch irgendwann Mal das faltbare Reisecello und bist auch im Urlaub versorgt.
    Ich wünsche Dir weiter so viel Freude daran!

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    1. Ein Reisecello als Surrogat möchte ich, glaube ich nicht. Eines der Geheimnisse liegt ja auch in dem Wechselspiel von Anspannung und Entspannung, was zum Beispiel meine linke Hand angeht, die sich sehr strecken muss (einfach weil sie recht klein ist). Also hat die Pause ihren Sinn.
      Und ja, „da haben sich zwei gefunden“. Ich glaube, dass ich es im Innern schon immer irgendwie gespielt habe, daher auch geht das jetzt so schnell. Muss ja aber so nicht bleiben …
      Wir werden sehen.
      Dir wünsche ich auch gute Musik, im übertragenen Sinne auf jeden Fall.

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  2. Oh ja, ich kann es Dir so gut nachfühlen. Ein Cello ist ein wunderbares Instrument.
    Leider reichte mein musikalisches Gehör nicht, dieses Instrument zu spielen.
    Solltest Du mal ganz andere Celloklänge hören wollen, dann suche mal nach Apocalyptica. Ich finde es genial.

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  3. Liebe Frau Rebis, eigentlich gibt es ja gar nichts dazu sagen, ausser wie schön es ist, dass ihr euch gefunden habt, das Cello und du.
    Und immer wenn ich von dir und deiner Liebe zu dem Cello lese, denke ich an den Film Dina, Dina war auch eine leidenschaftliche Cellospielerin, aber Vorsicht, dieser Film ist hochdramatisch- die Bücher lesen sich eigentlich besser…
    liebe Grüsse sende ich dir
    Ulli

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    1. Den Film hattest Du schon einmal erwähnt, liebe Ulli, der Trailer war dann aber tatsächlich sehr dramatisch und erstmal schwer für mich. Von wem sind denn die Bücher? (Unter dem Titel gibt meine Bib nichts Konkretes her. Aber vielleicht ist auch nur das italienische I-net nicht durchlässig genug.)
      Liebe Grüße zurück,
      Frau Rebis

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      1. Gell, mir war auch so, als hätte ich es schon einmal erwähnt, die Trilogie schrieb eine Norwegerin: Herbjörg Wassmo, Dina, das Buch/Der Sohn und Dinas Vermächtnis- die Geschichte spielt in Nordnorwegen zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts und ist so oder so schwere Kost. Ich hab letztens nochmal den Film angeschaut und dann beschlossen ihn abzugeben, ich werde ihn kein drittes Mal mehr schauen, wenn du willst … gerne. Dann bräuchte ich nur deine Postadresse-
        liebgrüss am Abend
        Ulli

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  4. wie du das einfach so schreibst, unglaublich. ich könnte das nie in worte fassen, und doch finde ich mich darin so sehr wieder. das im-arm-halten, die töne am und im körper… meine liebe entflammte noch vor schuleintritt, und auch wenn ich nach über 10 unterichtsjahren nur noch sehr selten spiele (sehrsehr seit den kindern), die zeit wird kommen.
    ich wünsch dir weiter so viel freude beim musizieren (und auch sonst)!

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    1. Stimmt, Du spielst ja Cello, das wusste ich irgendwo tief in der Erinnerung.
      Ein wenig beneide ich ja alle, die schon so „richtig“ spielen können, andererseits: Dann hab ich eben alles noch vor mir:) Und Geduld ist ja eh meine Lebensaufgabe …

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      1. nun, es muß bei mir schon „spielte“ und „konnte“ heißen, so lange hab ich keine übung mehr. aber interessant zu erfahren, daßß mein körper noch weiß wie es geht: wenn ich dann mal dransitze (wirklich sehrsehr selten), dann weiß er genau was zu tun ist, die finder finden ihren weg. allein der klang ist etwas schief…
        wünsch dir eine schöne gute woche!

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