Es schneit. Immer wenn ich hier anreise, schneit es, möchte ich meinen. Sehr oft jedenfalls liefen wir den allerersten Tag gemächlich durch ein Schneewirbeln. Wie eine sanfte Hilfestellung beim Ankommen in der äußeren Ruhe, wenn nichts anderes möglich ist als im frischen Schnee zu treiben, um nicht von der häuslichen sogleich in eine Feriengeschäftigkeit zu fallen.
Es schneit also. Wir spuren uns durch das frische Weiß. Lassen Flocken auf Händen, Gesicht und Zunge schmelzen. Weg sind sie. Oder? Denke ich gleich darauf.
Ich laufe mit geschlossenen Augen, höre jede Schneeflocke auf der Jacke landen und spüre den Wind, wie er sich Einlass in die Kapuze verschafft. Wenn es weich unter den Schritten wird, bin ich von der Straße nach rechts oder links abgewichen, es ist leicht zurückzufinden, auch beschuhte Füße haben Tastsinn. Die Geräusche des Ortes verlaufen diffus in der Ferne, das weiche Nebellicht zeichnet wandelnde Muster auf meine Augenlider. Wieviel doch hindurchdringt … vom Licht durch die geschlossenen Augen, vom schneidenden Wind durch den dichten Anorak, vom Dorfrauschen durch das Schneegrieselpochen.
Offensein. Durchlässigkeit.
Doch auch: Wieviel hindurchdringt vom Alltagswirbeln in das Hiersein, vom lange nicht abgetragenen mentalen Packsack in die vermeintliche Gelöstheit der Ferientage, von längst vergangen geglaubten Zeiten in mein Jetzt.
Jeder Schritt bohrt die Dinge tiefer in mich. Ich bin wund. Ein steinerner Klumpen dicht am Herz.
So wenig Abschirmung, so wenig Grenzen, so wenig Schutz.
Suche ich Abgrenzung? Nur die eine Form, die andere nicht? Oder die eine wie die andere?
Und was löst der Schnee in mir aus?
Ich erwarte ihn als bereinigt vom Vergangenen. Setze ich ihn meinen Erwartungen zu sehr aus?
Welche Spuren trägt er, die doch eigentlich in den Sommern geschmolzen sein müssten?
Schritte der Einsamkeit.
Angst vor Vereinnahmung.
Dialoge, in denen Nichtnahekommen sichtbar wurde.
Erstarrung und Mauernbau.
Maske und Immer-schön-lächeln.
Hochglanzfotos von alpenglühenden Bergen an Schneereinweiß.
Verkennen und verleben.
Unfähigkeit für das Einfachste.
Ratlosigkeit und Nichtahnen, wie es überhaupt gehen soll.
Tage der Illusion und der Desillusionierung.
Knallhartes Erkennen.
Versagen und Verantwortungsverweigerung.
Sterben und Gestorbenes.
Wie viele Wege ich hier ging.
Die Pfade wissen alles von mir. Ihr Schnee schleudert es mir erbarmungslos ins Gesicht.
Ist Schmelzen eine Illusion? Trägt Schnee die eingespurten Muster für immer in sich? Gibt es am Ende gar keine Schneeschmelze?
Wie will ich weiterleben?
Liebe Frau Rebis, das sind gewichtige Fragen, die durch den Schnee spurst und ich denke an das Buch von Elke Engelhardt aka Mützenfalterin -Wenn der Schnee Gewicht hat-
Ich spüre noch nach ob es an sich doch keine Schneeschmelze hat, ich glaub schon, nur was tropft mit dem Schnee in die Erde und wird dort bewahrt? Und was kann man davon in den Himmel oder ins Feuer werfen, damit es transzendieren kann? Ich wünsche dir aufklarendes Wetter und einen leichten Gang.
Herzensgrüsse an dich
Ulli
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Liebe Ulli,
der Wasserkreislauf als Nichtnurwasserkreislauf, sondern verwoben mit den anderen Elementen, mir öffnet sich da etwas. Nur Worte sind heute schwer zu finden. Wir waren auf einem hohen Berg, und ich suche noch, wo ich mich nach der Höhe wieder erdig positionieren kann.
Das Buch macht mich neugierig …
Danke, und einen liebsten Abendgruß, Frau Rebis
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Du wärst so richtig für meine Naturarbeiten und auch für die schamanischen Heilweisen, ich habe das schon oft gedacht, so schade, dass du so wiet weg bist…
liebe Grüsse
Ulli
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Och, immerhin wohne ich ja nicht an der Nordsee … sooo weit ist das ja gar nicht.
Hab eine gute, friedliche, traumvolle Nacht,
Frau Rebis
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Das dachte ich dann etwas später auch, wir schauen mal, gell ;)
herzliche Morgengrüsse von Berg zu Berg, ich wünsche dir heute einen Tag voller Freude und Frieden
Ulli
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Grundsatzfragen, die immer nur vorläufig beantwortet werden können. Bei mir jedenfalls. Mich zermübt diese Vorläufigkeit zuweilen, manchmal bin ich froh drum.
Danke für dein Teilen.
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Eigentlich gut, denke ich oft, dass manche Dinge nicht für immer feststehen. Es wäre bei manchem eine Bürde. Zumindestens bei jenen Dingen, wo es sich nach Veränderung sehnt. (Ich glaube aber, Du meintest etwas anderes … ja, ich glaube ja auch nicht an schnelle und endgültige Antworten.)
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Zwar verstehe ich nicht alles, finde dennoch beeindruckend, wie intensiv Du in Dich hineinhorchst und nach den richtigen Lebensdingen fahndest! Werde unbedingt fündig!
Gruß ins Wintertreiben
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Danke, liebe Frau Wildgans. Ich verstehe ja auch nicht alles. Aber ich suche … und das ist ja schon das Wichtigste, was hier geschieht.
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Ich möchte meine Bitte von neulich als sanfte Flocken auf dich und in dich fallen lassen.
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Ein Brief ist unterwegs, gestern geschrieben, noch nicht abgeschickt, da habe ich jetzt gleich noch ein PS druntergesetzt. Danke für Deine sanften Flocken … sie fallen und schmelzen und hinterlassen Spuren. Danke!
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