Die Sache mit dem Kranksein

Nein, ich kann das nicht. Jedenfalls bin ich nicht besonders gut darin. Ich meine in dem Sinne, dass ich wenig Übung habe krank zu sein. Alle Jubeljahre mal, und dann immer nur ein bisschen. So wie jetzt, dass es mich drei Tage ins Bett gehauen hat, das war schon selten. Welch Glückspilz, ich.

Und doch ist diese Erfahrung nicht unwichtig.

Abgeben. Loslassen. Das Alltagsgeschäft den anderen übertragen. Vertrauen. Klingt wenig spektakulär. Ist es aber nicht für eine, die gern die Fäden in der Hand hält und schwer glauben kann, dass es ohne ihre Kontrolle läuft. Echt, so bin ich, jedenfalls hier zu Hause. — Und was soll ich sagen: Es läuft. Es lief. Und dieses Laufen stand nie in Gefahr. Ganz im Gegenteil: Die Tochter bäckt mir einen Kuchen, kocht Tee, macht zum Abendessen Spiegelei, wir essen das im Schneidersitz auf meinem Bett und fühlen uns ein wenig wie beim Picknick (die Lagerfeuerwärme wird mir durch’s Fieber gratis dazugeliefert). Der Sohn schleicht alle Stunden mal vorbei und schaut ernsthaft besorgt und später nur noch interessiert, wie mein Besserungsprozess voranschreitet. Das Leben im Haus läuft ganz  normal weiter, keiner versäumt lebenswichtige Termine, die Zimmer verwüsten nicht, der Kühlschrank wird nicht leer, alles gut. Was mich vor mir selbst ein bisschen lächerlich dastehen lässt mit meinem Kontrollzwang.

Mein Körper und ich. Wann verbringen wir schon so viel intensive Zeit miteinander. Ich bin fast ein wenig fasziniert, wie genau das alles zu spüren ist. Schlägt der Puls heftig, steigt das Fieber, ich brauche gar nicht zu messen. Schwitze ich die Bettwäsche nass, sinkt es wieder, pro halben Grad ein Liter, mindestens, ich brauche ebenfalls nicht zu messen. Das Kopfweh ist zuweilen höllisch, aber – von Zeit zu Zeit mit Aspirin aufgelockert – insgesamt erträglich, da ich auf ein baldiges Ende hoffen darf. Das gleichermaßen ekelige Halsweh ficht mich schon eher an, einer der unangenehmsten Schmerzen, aber auch das endet nach zwei Tagen. Ich lerne ein bisschen Geduld – und, ja, Dankbarkeit. Dass ich einen harmlosen Infekt haben darf. Und keine wirkliche Erkrankung. Das alles in einem warmen, kuscheligen Bett in einem trockenen Haus, mit Getränken und Medikamenten zur freien Verfügung, alles in allem Luxuskranksein. Ich habe in diesen Liegetagen viel Gelegenheit, mich dankbar, glücklich und privilegiert zu fühlen.

Mich und die Ansprache meines Körpers wichtig zu nehmen. Eines der schwersten Dinge hierbei. Schleppte ich mich doch am Donnerstag Vormittag zur Arbeit, obwohl es mir schon nicht gut ging. Fühlte mich anschließend wie erschlagen. Schleppte mich am Freitag immer noch zur Schule, nur für eine Stunde. Fiel anschließend fiebernd ins Bett. War mit den Gedanken die ganze Zeit schon beim Montag, welche Stunden ich möglichst kraftschonend gestalten könne, und wie ich zwischendurch all die Noten noch einzutragen schaffe ohne mich wieder restlos zu verausgaben, bis … ja, es dauerte ein wenig … es mir dämmerte. Dass ich nicht wirklich schulgesund bin. Dass mich jedes Aufstehen in neue Schweißausbrüche treibt. Dass es anstrengend genug war, in den drei Liegetagen mit Matschekopf doch noch all die Noten fertigzumachen, liegend mit Laptop im Bett. Dass mein Husten kaum im Zaum zu halten ist, wenn ich nicht Kodein nehme. Dass ich mich elend schwach fühle.
Also – tata – ich habe es entschieden: Ich halte morgen keinen Unterricht. Nicht leicht, mich dazu durchzuringen, ich fühle mich sofort faulenzend, zumal ich ja am Morgen erstmal in der Schule auftauchen werde, drei Nachschreiber an ihre Arbeiten setzen und meine 140 Noten eintippen werde, während parallel schon eine Kollegin oder ein Kollege aus der Bereitschaft vor meiner Klasse stehen wird, mit den von mir gestellten Aufgaben. Ui, das ist überhaupt nicht leicht. Genauso wie die Coklassenlehrerin zu versetzen, wir müssten eigentlich die Notenkonferenz für Mittwoch vorbereiten. Und für die Nachmittagsklasse fällt der Unterricht komplett aus, das geht doch nicht. Mir ist das schwer.
Denn ich werde in der Zeit einfach zu Hause liegen, wahrscheinlich nicht mal mehr im Bett, sondern auf dem Sofa, und es mir gut gehen lassen. Tee, Hustensaft, dösen, ab und zu mal einschlummern. Sicherlich fieberfrei, das fühlt sich heute schon sehr gut an. Also könnte ich doch morgen … neeeee.
Ist das schwer. Ich stelle mich an. Aber nun, ich habe mich entschieden.

Ganz schön lehrreich und heilsam, die Sache mit dem Kranksein.

 

13 Kommentare

  1. Liebe Frau Rebis,

    heute lese ich vor der Schule den neuen Blogpost, weil ich schon damit gerechtnet habe, dass er mich dieses Mal noch persönlicher anspricht als sonst.
    Ab Mittwoch gings mir nicht gut, am Donnerstag haben zwei Klassen Film geschaut. Die Kleinen halt, in Englisch, obwohl es thematisch ein bisschen früh war, aber das ist so sprechintensiv. Und am Freitagmorgen weiß ich eigentlich ganz genau, dass ich daheim bleiben sollte. Aber meine schreiben einen Aufsatz und der muss kommende Woche überarbeitet werden und ich hab kein Wochenende zum korrigieren, wenn ich den Nachschreibe und die Kleinen können in Musik auch Filmgucken zur Not und wird schon gehen… also wieder schleppen, Aufsatz geht rum und schließlich im Klassenzimmer der lieben Kollegin, die mit ihren Kleinen heute auch nur Filmschauen kann (fast alle sind angeschlagen in unserem sonst so robusten Kollegium), fast einschlafen.
    Dann jetzt übers Wochenende viel rumhängen und gesundwerden, aber auch den Aufsatz schaffen und heute geht es mir tatsächlich besser. Auf die Heul-sms an die liebe Freundin gibt es ein nicht unkritisches „Frau Lehrerin du darfst auch mal krank sein!“ und schon da beschleicht mich das Gefühl, dass ich krank-sein überhaupt nicht kann. Viel weniger noch als du, weil ich mir auch jetzt noch heimlich denke, haha, ich habs geschafft, es ging doch auch so, muss man nur geschickt machen… Also wie du siehst, bin ich noch längst nicht soweit und hoffe trotzdem, dass die Vernunft vor einer all zu schlimmen Krankheit kommt, die zur Einsicht zwingt.

    Weiterhin gute Besserung und ganz ernst gemeinte Glückwünsche zum Los-lassen-können
    Lisa

    P.S. Ich hoffe ich merke mir das mit der Dankbarkeit im Kranksein fürs nächste Mal. Klingt sehr tröstlich weise.

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    1. Diese Erfahrungen klingen wie meine, tausendfach gemacht …
      Insofern weiß ich gar nicht, ob ich wirklich weiter bin oder nur einfach eintausend mal häufiger schon geübt habe? Vielleicht bin ich ja schon x Jahre länger im Dienst und habe einen weit älteren Körper, der ein wenig eindringlicher verlangt, was ihm zusteht?
      Jedenfalls: Ich sehe auch bei uns ständig halb- und ganzkranke KollegInnen herumspringen, der Kopf sagt ganz klar, dass es nicht gut ist, was wir da tun. Bleiben wir also dran am Krankseindürfen:)

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      1. Und stell dir vor, heute habe ich alle Vorkehrungen getroffen, um morgen tatsächlich daheim zu bleiben, obwohl ich noch nicht halb tot bin. Ich hab mich den ganzen Nachmittag ausgeruht und als es mir dann besser ging natürlich sofort gedacht, ach, dann geh ich vielleicht doch… aber ich werde das jetzt mal als Lernanlass sehen und mich zwingen. Wenigstens einen Tag, vielleicht sogar 2, ohgottohogott! Und man weiß sowas ja nie, aber vielleicht hätte ich das ohne deinen Text nicht gemacht, also Danke für das in die richtige Richtung schubsen :-)

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  2. Liebe Frau Rebis, ich bin schon fast mit dir dankbar, dass dich das Fieber und Kranksein dazu bringt Kontrolle abzugeben und selbst dein Pflichtbewusstsein, das dich ja andererseits ehrt, deiner Gesundheit zuliebe hintenan stellst. Da mag ich Bravo rufen und dir gratulieren, dass du die Hingabe ans Kranksein lernst. Eine so schwere Aufgabe. Ja, ich kenne das gut, vielleicht sollte ich leider schreiben, aber ich lasse es, weil erst einmal an einem Pflichtbewusstsein und an Verantwortung für Kinder und Haus und Hof nichts falsches sind, sogar in meinen Augen notwendig, aber eben nicht auf Deubel komm raus.
    Und wieder einmal freue ich mich mit dir an deinen tollen Kindern, die dich unterstützen, wenn es angesagt ist.
    Nun wünsche ich dir eine gute Besserung und dass du es weiterhin geniessen kannst auf dich und deinen Körper zu hören, was bestimmt nicht pausenlos funktionieren wird, oderrr?!
    Herzliche Grüsse
    Ulli

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    1. Es ist wirklich schwer. Auch heute Morgen in der Schule, als ein Kollege meine Physikklasse beaufsichtigte und ich ja eigentlich da war … ich hatte ein schlechtes Gewissen, er tat mir leid, ich war kurz davor hineinzuspringen und mich doch selbst dahin zu stellen:) Dabei sind wir ein wirklich solidarisches Kollegium, und gerade diesem würde es absolut fernliegen, irgendetwas Arges über mich zu denken. Und doch … Das eigene Gerüst – oder müsste man besser Käfig sagen? – ist immer wieder erstaunlich starr.
      Bleiben wir Übende …
      Herzlichen Gruß zu Dir zurück, Frau Rebis.

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