Bad Schandau – Pistany (#3wegsam20)

Das ist mir neu: im Zelt liegen, welches eingeregnet wurde und immer noch wird, und mich nicht sorgen. Nicht um meine Sachen, nicht um mich. Endlich endlich im Leben begreifen, dass das nur Wasser ist und wieder trocknen wird. Egal wie, egal wann, mir wird nichts geschehen durch die Nässe. Für diese Erkenntnis habe ich viele Lebensjahre gebraucht.
(Das klingt so banal. Ist es aber nicht. Denn jahrelang empfand ich Eingeregnetwerden im Zelt als etwas sehr Schlimmes, nahezu Dramatisches.)

Ich trete also hinaus in die feuchte Welt, sehe fasziniert den Nebelschwaden überm Tal zu, spaziere einmal über den noch schlafenden Zeltplatz und krieche dann vor dem nächsten Guss wieder ins Zelt, um drinnen zu packen und zu frühstücken. Ohne Kaffee zu kochen allerdings, das traue ich mich nicht:) (Löslicher Kaffee heißt aber deswegen löslich, weil man ihn auch in Milch auflösen kann, in kalter also. Das ergibt auch eine Art Kaffeegetränk. Trick 17, falls man Milch dabei hat. Habe ich heute.)
Ich packe alles im Zelt in die Taschen, es wird nichts nass, jedenfalls nicht mehr als es schon ist. Das Innenzelt hänge ich aus, um es trocken zu belassen, da es aber von unten nassgespritzt ist, naja, es bleibt der gute Wille. Überzelt und Plane kommen pitschenass aufs Fahrrad, die Sandalen sind vollgesogen, Anfängerfehler bei ihrer Platzierung über Nacht, mir passierte das schon einmal. Macht insgesamt bestimmt zwei zusätzliche Kilo durch das ganze Wasser:)

Unten auf dem Markt in Bad Schandau hat es aufgehört zu regnen, ich sitze lange dort, verblogge mein letztes deutsches Netz und staune, als es plötzlich hell wird: die Sonne scheint. Den Gepäckträger funktioniere ich in diesem Moment zum Zelt- und Sandalentrockenständer um, obenauf das Solarpanel, sieht sehr bunt aus. Und muss von jetzt ab vor jedem Tropfen Regen geschützt werden, mir wird dieser Wäschetrockenträger noch Pausen verordnen im Laufe des Tages:)

Die letzten deutschen Kilometer bleibe ich auf der gleichen Elbseite, einfach weil mir jede Fähre gerade vor der Nase wegfährt, das muss man erstmal schaffen. Erst bei der letzten Chance komme ich rüber – und verstehe in dem Moment, dass ich mich auch an den anderen Fähren einfach an den Steg (AN, nicht AUF den Steg: „Könn’n’se denn nich lesen, junge Frau?“) hätte stellen müssen, dann hätte die Fähre mich schon geholt.
Letztlich aber bin ich drüben und sehe von dort aus das in die Landschaft geknallte klotzartige ehemalige Grenzgebäude DDR-Tschechoslowakei, das seit einem Vierteljahrhundert nun funktionslos vor sich hindümpelt. Auf meiner Seite gibt es eine schlichte Grenzsäule, in den Nationalfarben bemalt, ein paar Poller auf dem Weg, Willkommens-Schilder und eine Schautafel. So einfach bin ich in Tschechien. Ich fühle mich sofort wohl, sobald mir die ersten Ahoj-Grüße auf dem Radweg entgegenkommen. Ahoj, das war der Gruß in Kindheitsurlauben, ahoj sagten und schrieben die tschechischen und slowakischen Studenten, die ich auf dem Mathematiktreffen in Sofia kennenlernte, ahoj, das war unsere Wanderung mit genau diesen Studenten durch die Tatra, vor so vielen Jahren, und ahoj sagten wir bei unseren Musiktreffen mit der Partnerstadt, in die ich jetzt auch fahre. Ahoj ist für mich Tschechien:)

Gerade beginne ich mich auf dem tschechischen Asphalt einzufahren, die ersten vertrauten Wörter zu lesen – zmrzlina, otevreno, pivo, kielbasa, mimo potok, hach – , da kommt ein Gewitter des Wegs. Freundlicherweise schickt der Himmel gleichzeitig mit den plötzlichen Tropfen einen überdachten Rastplatz des Wegs. Ich bin zunächst allein, dann kommt ein tschechisches Radlerpaar, dann zwei deutsche Frauen mit Packtaschenrädern, zuletzt noch eine tschechische Familie mit Kleinkind, alle schon völlig durchnässt. Dann ist es voll unter dem Dach, und es kommt auch niemand mehr. Wir verbringen eine kommunikative Stunde mit Händen und Füßen, Kleinkind Martina krabbelt auf dem Tisch und lernt uns alle am besten kennen:), von außen werden wir nassgeweht, im Innern fühlt es sich sehr warm an.

Aus dem Radwanderführer der beiden Frauen fotografiere ich mir noch die Zeltplatzdaten der nächsten Kilometer ab und fahre weiter, es ist schon drei Uhr. Doch es geht schneller voran als ich dachte. Ich fliege über die alten Wege, die ich noch von vor zwei Jahren kenne, als ich sie mit dem Sohn fuhr. Ein wenig Wehmut ist immer dabei, wenn ich die Ecken erkenne, wo wir rasteten, ich weiß noch, wo wer welche Stimmung hatte, wo wir eine Toilette suchten oder einen Fahrradhandschuh, wo wir die Räder über Treppen schleppten (heute umfahre ich die Stelle auf der Schnellstraße), ich weiß noch so viel. Manche Abschnitte atmen die gleiche Stimmung wie damals.
Nur einige Bereiche sind mir wie entfallen, manche Unterführungen und Ortsdurchfahrten kommen mir vor wie nie gewesen. Ob die umgebaut wurden in den zwei Jahren? Oder ob ich in den Abschnitten einfach meditativ vor mich hingeträumt hatte und die äußere Welt spurlos an mir vorbeigeglitten war?

Jedenfalls bin ich schnell, nach der Gewitterpause werden es noch 55 Kilometer, ich erreiche meinen Wunschzeltort an einem kleinen See, wo wir damals auch schliefen, brauche nicht auf ein großes Kemp, und widerstehe, um das zu schaffen, tapfer jedem Bierstand am Wegesrand, es ist Sonntag und sie haben die an jeder Ecke geöffnet:))
Weil Sonntag ist, sind wohl besonders viele Menschen auf den Radwegen unterwegs, aber – hej, ich staune – es ist kein bisschen störend. Egal ob Reiseradler oder Mountainbikesprinter, Inlineskatende oder Menschen zu Fuß – alle lächeln und grüßen. Ob das die Sonntagsstimmung ist, oder ein Spiegel meines eigenen Strahlens, oder ob sie hier eben alle so freundlich sind, einfach so?
Es ist ein großartiger erster tschechischer Reisetag.

Und bei der letzten Sonne bin ich dort, wo ich kaum zu hoffen wagte heute noch anzukommen. Pistany, eine kleine Marina an einem See bei Litomerice, den Zeltplatz habe ich quasi für mich allein, fühlt sich gut an. Und ein wenig seltsam. Vielleicht deswegen, und weil ich doch erschöpft bin nach dem Ritt und es schon spät ist, gehe ich in die benachbarte Marina zu einem Imbiss, vor allem aber für mein erstes tschechisches Bier, und das zweite auch gleich. Den ganzen Tag am Wegesrand hatte es mich verlockt – jetzt endlich bekomme ich es, es schmeckt gut, wie sollte es anders sein, hier in Tschechien.

7 Kommentare

    1. Ich glaube, von seinem Wesen her ist es ein Land, in dem Du Dich wohlfühlen könntest. Mir scheint alles stiller und bedächtiger als bei uns. Und sehr offen. — Aber das ist natürlich die Oberfläche, der erste Blick, der sich mir zeigt. Außerdem verstehe ich ja die Sprache ein wenig, das macht es einfacher. Ganz ohne Sprachkenntnisse wäre es mir vermutlich viel fremder.

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  1. Ich war nur einmal in Prag und drei Tage brachten wir mit Freund_innen in Theresienstadt zu (schwierig war das), seitdem habe ich schon oft gedacht, dass ich doch einmal mehr von diesem Land kennenlernen möchte. Nun gibst du mir wenigstens virtuell eine Gelegenheit!
    ich lese immer wieder deine Wandlungen, wenn du darüber schreibst, wie es noch vor ein, zwei Jahren war (bergrauf zu radeln z.B. oder Zelt im Regen) und freue mich mit dir an ihnen. Es macht mir Mut doch auch einmal einen Radelurlaub in Betracht zu ziehen, wenn ich erst einmal umgezogen bin, noch acht Monate…

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    1. Theresienstadt habe ich heute ausgelassen, vor zwei Jahren war es schon seltsam, da hindurchzufahren. Wie kann man einen solchen Ort in eine Reise, ganz gleich welcher Art, einordnen? Das geht vermutlich nicht, bleibt ein eigenes (Reise)Ziel, diese Konfrontation.

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      1. Ja, das war es auch und es war heftig! Trotzdem möchte ich diese drei Tage in meinem Lebenslauf nicht missen, ich habe dort viel erfahren und gespürt und noch mehr von dieser grausigen Vergangenheit verstanden. Aber ich brauche auch keine Wiederholung.
        Einen feinen Tag dir!

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